Friedenau hat in seiner Geschichte viele interessante und berühmte Bewohner hervorgebracht. Zwei von ihnen leben in der Friedenauer Hackerstraße: Evelyn Weissberg und Hermann Ebling, Gründer des Verlags „edition Friedenauer Brücke“, teilen sich rund 130 Quadratmeter mit tausenden von Büchern und ihrem über Jahre angelegten Archiv. Wahre Schätze – überwiegend Friedenauer Stadtgeschichte – füllen Schubladen und Regale, darunter Briefe, Tagebuchnotizen, Postkarten und alte Abbildungen. Kaum ein Flohmarkt, auf dem die Verleger nicht schon fündig geworden sind. Treibende Kraft dabei ist Hermann Ebling, leidenschaftlicher Amateurhistoriker, der längst zum Profi arriviert ist. Die Diplom-Designerin und Meisterschülerin, die u. a. an der Hochschule der Künste in Berlin Informationsgrafik studiert hat, und der Tonmeister und Fotograf, der mehr als 35 Jahre in der Filmbranche tätig war, bringen ihre tiefe Verbundenheit zu Friedenau in jedem ihrer Werke zum Ausdruck.
Aus ganzem Herzen und mit großem Sachverstand editiert das ortskundige Paar seit dem Jahr 2006 seine Publikationen, die den Geist Friedenaus in sich tragen und dem Leser Geschichte(n) dieses Ortsteils vermitteln: lesefreundlich, behutsam und nachhaltig, dabei aber immer spannend. Ihre Bücher legt man bedacht bei Seite, um sie bei nächster Gelegenheit wieder möglichst schnell zur Hand zu haben: Für eine Erkundungstour durch Friedenaus Straßen mit „Entlang der Rheinstraße – Friedenau erzählt 1945-1963“ oder über einen der gemütlichen Wochenmärkte mit „Markttage in Friedenau“ in der Hand. Und auch der 2019 erschienene „Geist von Friedenau“ als Zeitreise durch das Labyrinth des Herrn von Carstenn führt Leser in Friedenauer Jahre zwischen 1890 und 1960.
Evelyn Weissberg verrät: „Wir schreiben keine Bücher im eigentlichen Sinne, sondern geben sie heraus. Wenn wir eines unserer Werke in den Händen eines erkundungshungrigen Spaziergängers entdecken – was übrigens häufiger vorkommt -, macht uns das stolz. Es gibt Leser, die jede Woche eine andere Friedenauer Straße erkunden, von unseren Büchern inspiriert.“ „Schmökerbücher“ nennt das Paar seine Verlagswerke, die der Leser und Friedenau-Freund immer wieder gerne zur Hand nimmt, und die nie aus der Zeit kommen. Während Hermann Ebling der geborene „Jäger und Sammler“ für Historisches ist, kann Evelyn Weissberg sich besonders in alten Abbildungen verlieren. „Wir pfuschen uns gegenseitig ins Handwerk“, erklärt sie mit liebevollem Augenzwinkern. Das harmonische Paar, das sich einst in einer Jugendclique in Kaiserslautern kennengelernt hatte und seit nunmehr fast 50 Jahren auch privat erfolgreich verbunden ist, lebt seit 1976 in Friedenau. Seit einem Berlinbesuch hat dieser Ort es nicht mehr losgelassen. Dort haben die beiden Bücherfreunde drei Kinder großgezogen – und einen Familienhund. Diesem Friedenauer Jack Russell Terrier, der die Familie 15 Jahre lang mit Clownerie und Schalk im Hundenacken bei guter Laune hielt und begleitete, ist „Jack – Ein kleines Album für einen großartigen Hund“ gewidmet. Ein Buch, das unbedingt in den Bücherschrank eines jeden Jack-Russell- bzw. Hundefreundes gehört: Kein Ratgeber, keine Rassebeschreibung, aber ein ganz besonderes liebenswertes Kleinod, das in bezaubernden Abbildungen und historischen Fotografien aus über 100 Jahren ein wichtiges Stück Kulturgeschichte birgt und für diesen quirlig-couragierten Terrier mit dem großen Löwenherzen und seine vierbeinigen Verwandten spricht.
Evelyn Weissberg ist im Verlag verantwortlich für das grafische Erscheinungsbild, für die Herstellung der Bücher und die Öffentlichkeitsarbeit. Ehemann Hermann konzipiert indessen die inhaltliche Struktur der Publikationen und schreibt die meisten Begleittexte. So entwickeln beide Hand in Hand qualitativ und inhaltlich einmalige Werke, die Friedenau aus der Seele sprechen, den Leser aber auf ganz besondere Weise erreichen und berühren. Buchgeschäfte und Fachkreise haben den kleinen Verlag, der sich selbst eher als „konzeptlos“ bezeichnet, längst als Geheimtipp abgespeichert. Wie viel Arbeit in jedem neuen Buch der beiden Perfektionisten und Ortskundigen der „edition Friedenauer Brücke“ steckt, wie viel Eigenkapital und Herzblut, lässt sich kaum erahnen. Ein neues Buch ist im Durchschnitt etwa neun Monate in Arbeit, manchmal auch bis zu zweieinhalb Jahre. Irgendwie hatte sich das Verlags-Projekt wie von selbst entwickelt. Und das, obwohl Evelyn und Hermann eigentlich gar keinen Verlag hatten gründen wollen. Sie erinnert sich: „Als ich das erste Mal auf der Leipziger Buchmesse die Halle mit den unzähligen kleinen Verlagen besuchte, dachte ich: Du musst verrückt sein, Bücher machen zu wollen.“ Doch mit ihrem Nischenangebot der „edition Friedenauer Brücke“, das Friedenauer Geschichte in den Mittelpunkt stellt, trafen die beiden Gründer genau ins Schwarze. Das Gemälde der Friedenauer Brücke mit dem Titel „Eisenbahnüberführung 1914“ von Ernst Ludwig Kirchner liegt dem von Evelyn Weissberg entwickelten Verlags-Logo zu Grunde: Schließlich ist der Name des Künstlers fest mit Friedenau verankert und hatten die Verlagsgründer von ihrer damaligen Wohnung aus einen ähnlichen Blick auf die Brücke. Dankbar sind sie in diesen Tagen, dass in Lockdown-Zeiten Bücher als „Grundnahrungsmittel“ eingestuft wurden und sie auch viele engagierte Buchhändler hinter sich und ihrem Angebot wissen.
Erstes Buch dieser nach Evelyns Worten „Erfolgsgeschichte auf lokalem Level“ war im Jahr 2006 „Der Künstlerfriedhof in Friedenau“. „Als dieses Buch entstand, war ich täglich zur Recherche auf diesem Friedhof“, erzählt Evelyn Weissberg, die sich mit ihrem Mann in jede neue Arbeit mit ganzer Person und viel Liebe zum Detail einbringt, so dass sich beide in ihren fertigen Büchern stets wiederfinden. Hermann Ebling betont: „Wir halten es wie Klaus Wagenbach, den Gründer und Verleger des gleichnamigen Berliner Verlages. Er zitierte einmal, was heute auch unser Motto ist: Wir veröffentlichen nur Bücher, von denen wir meinen, dass sie gelesen werden sollten und nicht Bücher, die die Leser wollen.“ Gelesen werden sollten sie dann auch alle: Die beiden Dokumentationen „Friedenau erzählt“, die Geschichten aus der Zeit von 1871 bis 1914 und von 1914 bis 1933 anschaulich vermitteln, das Bilderbuch über „FRIEDENAUER GESCHÄFTE“ und das Lesebuch „Berlin Friedenau 1933-1945“. 2012 war es nach den fünf ersten Verlagsjahren an der Zeit, Resümee zu ziehen. Und so erschien die Broschüre „Fünf Jahre / 5 Bücher“, die die (Verlags)geschichte aus Friedenau zwischen der Verlagsgründung 2006 und 2011 wiedergibt. Ein besonderer Verkaufserfolg wurde 2013 „Berlin um 1950 – Fotografien von Ernst Hahn“, zu dem Dr. Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archives/Museum für Gestaltung das Vorwort verfasst hatte. Dieses inzwischen vergriffene Buch planen die Verleger, die aktuell dem „Unruhestand“ entgegensehen, als nächstes Projekt zu überarbeiten und neu aufzulegen.
Die aktuell 2021 erschienene Hardcover-Ausgabe „FRIEDENAU – aus dem Leben einer Landgemeinde 1871-1905“ zeichnet auf fast 500 Seiten den Weg von der Landhaus-Kolonie zur modernen Berliner Vorstadt. Mit zahlreichen, zum Teil noch nie gezeigte Abbildungen, Originaldokumenten und Plänen zur Geschichte Friedenaus fordert „edition Friedenauer Brücke“ zum Eintauchen in eine vergessene Zeit auf, ohne dabei einem alten Mythos nachzugeben: So hatte das Bezirksamt im vergangenen Jahr Friedenaus 150-Jahrfeier begehen wollen. Doch Weissberg/Ebling stellten klar: Friedenau als Landgemeinde ist erst 1874 gegründet worden. – 1871 wurden auf dem Weg zur Landgemeinde lediglich ein paar wenige Häuser erbaut. So schließt das Buch Wissenslücken, ohne dabei besserwisserisch zu wirken. Vielmehr spiegelt es die Geschichte Friedenaus über liebenswerte Anekdoten und Zeitungsanzeigen tagebuchartig wider, mit manchem Augenzwinkern zwischen den Zeilen und nie langweilig. Die Vorarbeit dazu füllte den Verlegern Lockdown-Wochen und zwang sie, sich dann doch zu beschränken. „Man will immer noch mehr bringen, muss sich aber jedes Mal selbst zurücknehmen, um zum Ende zu kommen und damit es nicht zu viel wird“, erklärt Evelyn Weissberg.
Der ambitionierte Leser braucht also keine Angst zu haben, dass dem Verlegerpaar der „edition Friedenauer Brücke“ das Material und die Lust zum Buchmachen ausgeht und darf auf weitere Arbeiten aus historisch und gestalterisch sicherer Hand gespannt sein. Denn wie sagt Hermann Ebling, der Filmerfahrene: „Unsere Verlags-Idee und die tollen Bücher haben eingeschlagen, das zeigen die letzten 15 erfolgreichen Jahre. Wir schreiben keine Bücher, sondern inszenieren Dokumentationen, stellen uns dabei aber nie schöpferisch selbst in die erste Reihe.“ Vielmehr liefere ihr Verlag chronologisch eine Realitätsmischung und Grundlage aus Zeitungseintragungen, Bildern und Archiv-Texten sowie Vorworte angesehener Persönlichkeiten, die schließlich ein Gewebe bilden, das die Menschen anstößt, sich historische Gedanken zu machen. – Ein Erfolgsrezept, das Appetit auf mehr macht.
Ausgaben der „edition Friedenauer Brücke“ sind im Friedenauer Buchhandel sowie direkt über den Verlag erhältlich. Näheres unter www.friedenauer-bruecke.de .
Jacqueline Lorenz für "Gazette Verbrauchermagazin Schöneberg & Friedenau" Februar 2022
Im Leben lauern ja bekanntermaßen Irrungen und Wirrungen. Doch bei Evelyn Weissberg und Hermann Ebling hat sich auf merkwürdige Weise alles gefügt – Friedenau, die Bücher und überhaupt das mit ihnen als Paar. Es ist ein kleines Jubiläum, das sie gerade feiern können. Vor 40 Jahren sind sie aus der Pfalz nach Berlin gezogen. Die passende Wohnung, zwei kleine Zimmer, fanden sie nicht in Wedding, Kreuzberg oder Neukölln, dort suchten sie auch, sondern in Friedenau. Zufall. Aber auch ein Glücksfall. Zehn Jahre später brachten die beiden ihr erstes Buch über Friedenau heraus, elf weitere sind bis heute gefolgt. Ihr Leben verband sich mit dem kleinen Ortsteil im Süden Berlins, mit seiner Geschichte, seinen Menschen. So ist ihre Geschichte auch zu einem Stück – das altertümliche Wort macht hier durchaus Sinn – Heimatkunde geworden.
Hermann Ebling ist ein kräftiger Mann, augenscheinlich der Typ Anpacker.
Er ist ein begeisterter Vermittler, die Worte sprudeln aus ihm heraus, er redet gern und viel. Evelyn Weissberg, eher der bedächtige Part, schiebt dann manchmal ihren Zeigefinger nach vorne, wenn sie seinen Fluss unterbrechen will. In Friedenau sagen viele – und es sind wirklich viele, die sie dort kennen – sie hätten selten ein Paar getroffen, das derart an einem Strang zieht.
Also muss es doch erlaubt sein, eine der großen Fragen der Menschheit zu stellen: Was ist Liebe?
Er: „Liebe ist etwas, das sich entwickelt, über Jahrzehnte. Vielleicht ist es auch, im günstigsten Fall:
die Perspektive, die gleichen Interessen.“
Sie: „Die Kreativität.“
Er: „Das hat sich bei uns ausgezahlt. Nicht in Währung, sondern in Beschäftigung.
Wir sind seit 42 Jahren ein Paar, das zusammenhält.“
In Kaiserslautern, wo er geboren und sie im Alter von zwei Jahren aus Zürich hingezogen ist, kamen sie über eine Jugendclique zusammen. Ihre Eltern waren geschieden, beide wuchsen bei den Großeltern auf. „Das war vielleicht auch ein Grund, dass wir uns so gefunden haben“, sagt er.
Sie lernte an einer Fachhochschule Design und Visuelle Kommunikation, er machte eine Handwerkerlehre. Und doch stockte das Leben beider in der pfälzischen Kleinstadt etwas. Sie waren beide 19, als er 1975 den Vorschlag machte, es doch mal in Berlin zu versuchen. Mit einer befreundeten Musikergruppe, die im „Go-In“ in Charlottenburg einen Auftritt hatte, fuhren sie hin. Anderthalb Tage waren für den Trip veranschlagt worden. Sie wohnten bei Freunden am Innsbrucker Platz. Viel sahen sie nicht in der kurzen Zeit. Einmal liefen sie die Hauptstraße runter, blieben am Breslauer Platz stehen.
„Ich erinnere mich noch sehr eindringlich an den großen Turm vom Rathaus Friedenau“, erzählt sie.
Vielleicht war es ja ein Zeichen.
„Friedenau wollte uns“
Sie bewarben sich für mehrere Wohnungen. Schon als sie es fast aufgegeben hatten, kam in Kaiserslautern der erlösende Anruf, dass es in der Handjerystraße in Friedenau klappen sollte. Für 86 Mark Miete.
„Das hat sich auf mystische Art und Weise ergeben“, sagt er.
„Friedenau wollte uns“, sagt sie.
Damals hatte Friedenau noch nicht den Ruf eines Dichterviertels. Auch wenn sie dort gewohnt hatten wie Uwe Johnson oder noch wohnten wie Günter Grass in der Niedstraße. Oder Max Frisch in der Sarrazinstraße. Oder Hans Magnus Enzensberger in der Fregestraße. „Uwe Johnson hat eine ganze Gruppe von Schriftstellern nachgezogen. Es gibt ja den Spruch, dass er neben der Schriftstellerei auch als Immobilienmakler sehr große Erfolge feiern konnte“, erzählt Ebling.
Seine Frau und er waren zu dieser Zeit allerdings noch kaum mit deren Literatur in Berührung gekommen. Ihnen fiel nur auf den Friedenauer Straßen „ein Mann auf, mit Baskenmütze und Riesenschnurrbart, der etwas gebeugt ging“. Erst später erfuhren sie, dass es der Schriftsteller Edgar Hilsenrath war. Sie selbst lasen aber George Orwell, Carlos Castaneda und Hermann Hesse. Und kümmerten sich überhaupt erstmal um ihren weiteren beruflichen Werdegang. Sie nahm ihr Studium an der HdK auf und entwarf Kataloge für die Internationale Bauausstellung. Er holte auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nach und arbeitete später als Tonmeister.
In Berlin hatte Ebling aber schon mit etwas begonnen, was später den Büchern ihres Verlages, der „edition Friedenauer Brücke“, ein Gesicht geben sollte. Er sammelte alte Fotografien. Er kaufte sie auf Flohmärkten und Börsen. Anfang der 80er-Jahre konzentrierte sich seine Leidenschaft auf Bilder aus Friedenau. Heute hat er tausende in seinem Archiv.
Damals, mit den Bildern, muss es auch angefangen haben, dass sie die Besonderheiten ihres Wohnortes entdeckten. Der Holsteiner Johann Anton Wilhelm von Carstenn hatte das Gebiet Mitte des 19. Jahrhunderts erworben und wollte dort eine Villenkolonie errichten. Als ihm das Geld ausging und er verkaufen musste, entstanden in der Kaiserzeit auch mehrstöckige Mietshäuser mit allerdings großzügigen Wohnungen. Vieles hat sich bis heute erhalten, die Villen, die Mietshäuser mit Vorgärten, auf viele Besucher und Zugezogene wirkt Friedenau wie eine Oase inmitten des hektischen Großstadttrubels.
„Es ist nicht so großspurig, hat eher etwas Zurückgezogenes“, formuliert es Hermann Ebling.
„Die Gründerväter und -mütter haben Friedenau mit einem ganz speziellen Anspruch gegründet: Dass es hier schön ist, lebenswert, dass es Plätze gibt, an denen man sich gerne aufhält. Dieser Geist ist bis heute da“, sagt sie.
Anfang der achtziger Jahre waren sie in die Stubenrauchstraße gezogen, sie brauchten eine größere Wohnung, das erste Kind, Jonas,
war zur Welt gekommen, zwei weitere, Simon und Sonja, sollten später folgen.
In dieser Zeit entstand auch die Idee, ein erstes Buch herauszubringen. Ebling hatte mittlerweile eine solche Fülle an Bildmaterial von den Friedenauer Anfangsjahren, dass es sich anbot. Nur Geld war nicht genug da. Ebling, der ja Tonmeister beim Film war, erzählte seinem Assistenten dort von dem Projekt und der wusste, wer helfen konnte. Der Assistent war nämlich der Sohn von Günter Grass, Raoul, und er fragte seinen Vater. Und tatsächlich, Grass gab Geld dazu. 1986 erschien „Friedenau – Aus dem Leben einer Landgemeinde“ mit historischen Aufnahmen, das Erstlingswerk ist mittlerweile vergriffen. Die Texte verfasste Ebling mit Hilfe einer Lektorin, den Band selbst, das Layout, entwarf seine Frau.
Es sollte allerdings 20 Jahre dauern bis sie sich an neue Bücher wagten, diesmal allerdings ohne Finanziers. 2006 brachten sie eines über den „Künstlerfriedhof“ in Friedenau heraus, auf dem unter anderen Marlene Dietrich und Helmut Newton begraben sind. Ein Jahr später entstand die Reihe „Friedenau erzählt“. Prominente und auch weniger bekannte Zeitzeugen schildern dort, wie sie Kaiserzeit und Weimarer Republik erlebten. Auch ein „Lesebuch“ über die Nazizeit ist so entstanden, unter anderem mit textlichen Fundstücken von Hildegard Knef und Friedrich Luft über Friedenau.
Die Reihe „Friedenau erzählt“ will das Verlegerpaar gern bis in die heutige Zeit fortsetzen und sucht auch über Facebook nach Zeitzeugen, die ihnen Erlebnisse aus den fünfziger, sechziger Jahre bis zur Nachwendezeit erzählen können.
Mittlerweile ist der kleine Verlag zu einem Familienunternehmen angewachsen. Der älteste Sohn Jonas hat Übersetzer gelernt und ist damit für den Vater auch zum geeigneten Lektor geworden. Die Tochter Sonja studiert Vergleichende Literaturwissenschaft und bringt sich auch bereits ein. „Vielleicht wird der Verlag einmal in den Kindern fortleben“ wünscht sich Herrmann Ebling.
Seine Arbeit beim Film hat er aufgegeben, er kümmert sich nun ausschließlich um die Buchproduktion. Die Auflage liegt bei jedem Band
etwa im vierstelligen Bereich, genauer will er sich dazu nicht äußern. Viele sind auch Longseller, die sich über einen längeren Zeitraum verkaufen.
Im Souterrain des Hauses in der Rembrandtstraße, wo sie nun seit 20 Jahren wohnen, stapeln sich noch Bücher bis an die Decke.
Einen „Megaseller“ konnten sie sogar mit dem Fotoband „Berlin um 1950“ verzeichnen. Der Fotograf, der heute 90-jährige Ernst Hahn, lebt inzwischen in einem Seniorenheim in Friedenau.
Als junger Mann hatte er fünf Jahre nach Kriegsende die Stadt aus ungewöhnlichen Perspektiven fotografiert. „Er ist Potsdamer. 1950 ist er deshalb in Berlin an Orte gegangen, die andere gar
nicht fotografiert hätten.
Es ist ein untypischer Berlin-Blick.“
Demnächst soll ein Buch über den Künstler Ernst Volland erscheinen. Er wohnt zwar in Steglitz, aber das sieht man nicht so eng, man kennt sich, Volland kaufe am Sonnabend gern auf dem Wochenmarkt am Breslauer Platz ein. Auch ein Buch über Rosa Luxemburg, neben den beiden Nobelpreisträgern Günter Grass und Herta Müller auch eine bekannte Bewohnerin Friedenaus, ist in Planung. Sie lebte in der Cranachstraße 58. Jedes Jahr zu ihrem Todestag am 15. Januar versammelt sich eine Schar vor ihrem Haus zum Gedenken. „Und jedes Jahr werden es weniger“, hat Ebling beobachtet.
„Wir werden die Sicht auf Friedenau nicht verändern, aber wir werden sie bereichern. Wir sind Archäologen, wir graben aus“, sagt er.
„Das Konzept des Verlages ist, dass er kein Konzept hat. Wir machen das, was wir entdecken, bringen heraus, was wir würdig
finden, dass es veröffentlicht wird“, sagt sie.
Evelyn Weissberg und Hermann Ebling, das ist die Geschichte zweier Menschen, die in Friedenau eine Heimat gefunden haben und dieses Gefühl von Verbundenheit nun denen, die dort leben, weitergeben.
Eigentlich ein guter Gedanke in unserer heutigen Zeit.
Berliner Illustrirte Zeitung, 31.7.2016 von Jan Draeger
alle Abbildungen: ©edition Friedenauer Brücke
Das Schaufenster der Nicolaischen Buchhandlung 2021 mit dem Motto "FRIEDENAU" ©edition Friedenauer Brücke
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Ansichtskarte des Panoramas von Friedenau von ca 1903, ganz links die Friedenauer Brücke ©edition Friedenauer Brücke